Es war ein langer Weg – ein Jahr und rund 873 Kilometer. Als ich mich vor zirka einem Jahr zum Berlin Marathon 2012 anmeldete, war mein persönliches Ziel anfangs nur das Ziel hinterm Brandenburger Tor zu erreichen, später, dies in viereinhalb bis fünf Stunden zu schaffen.
Vieles ist seit der Anmeldung zum Berlin Marathon, vor zirka einem Jahr, geschehen. So war ich mit einem Blinddarmdurchbruch im Krankenhaus (viel später hätte ich auch nicht mehr kommen brauchen, meinte der Arzt) und hatte im Anschluss an den einwöchigen Krankenhausaufenthalt bis in den Januar hinein absolutes Trainingsverbot. Auch wenn ich nie der Allersportlichste war, so war das doch ein Einschnitt, den ich nicht noch einmal brauche. Ich fing am Jahresbeginn 2012 also quasi bei null an.
Erst ging es mit einer kleinen Strecke los, ein paar Kilometer um die Altstadt, oder bis Ruhlsdorf und zurück. Dann wurden die Strecken länger, bis Stahnsdorf, Kleinmachnow, Großbeeren und Berlin. Meine längste Trainingsstrecke war über 32 Kilometer, durch die Region Teltow. Nicht immer war es einfach, sich morgens oder abends zu motivieren, noch einmal die Laufschuhe anzuziehen. Zu kalt, zu nass, zu warm, zu trocken, Olympia schauen ist doch auch fast Sport… an Ausreden bestand nie ein Mangel. Letztendlich habe ich es aber dann doch geschafft, mich für das große Ziel Berlin Marathon zusammenzureißen.
Durch die letzten Monate meines Trainings hat mich Das große Buch vom Marathon. Lauftraining mit System, von Hubert Beck (5. Erweiterte Auflage, München 2011) begleitet. Ich kann dieses Buch nur empfehlen. Vom absoluten Anfänger bis hin zum Profi findet man Trainingspläne und auch umfangreiche Erklärungen, wie der Körper arbeitet, was man Essen und Trinken sollte und auch sonst noch den ein oder anderen Tipp, für auf und neben der Strecke. Es hat mir geholfen, meine vorher eher unkoordinierten Läufe auf ein Ziel hin auszurichten, vor allem auch, weil es nicht nur sagt was man machen soll, sondern auch wie und warum.
Die letzte Woche
In der letzten Woche vor dem Marathon bin ich kaum noch gelaufen. Nur kurze Strecken und auch diese nur relativ langsam. Das stand so im Trainingsplan, ist aber doch etwas ungewöhnlich. Irgendwie fühlt man sich, als hätte man nicht genug gemacht, als würde noch etwas fehlen. Davon darf man sich nicht abschrecken lassen, die gesparte Energie kann man dann voll und ganz in die 42,195 Kilometer stecken.
Am Freitag ging es dann zur Messe „Berlin Vital“, im ehemaligen Flughafen Tempelhof, die Startunterlagen abholen. In der Hoffnung, dass es nicht so voll ist, sind wir erst am Abend dort gewesen. Voll war es natürlich trotzdem. Die Messe an sich war ja ganz interessant und man hätte vermutlich auch das ein oder andere Schnäppchen bei Laufkleidung und Nahrung machen können, aber der erzwungene Gang durchs gesamte Gelände, bis ans letzte Ende, war dann doch nervig. Auf dem Hinweg hatte ich einfach kein Auge für die Stände, auf dem Rückweg war die Zeit so weit fortgeschritten, dass es noch für ein alkoholfreies Hefe gereicht hat und dann war Schluss. Beim Weg nach draußen kam dann das größte Ärgernis der Messe, wir konnten nicht mehr durch den Haupteingang, sondern mussten einen anderen Weg nehmen und in Folge dessen dann fast ums gesamte Flughafengebäude zurück zum Auto gehen. Wer Tempelhof kennt weiß, dass das nicht ein bis zwei Minuten gemacht ist.
Die Ernährung in den Tagen vor dem Lauf sollte man bewusst angehen. Ich habe natürlich zu viel Schokolade gegessen und entsprechende Bauchschmerzen versüßten mit den Freitag und teilweise auch den Sonnabend. Sonnabend habe ich mir dann lecker Nudeln gemacht, mit viel Knoblauch, Zwiebeln, Paprika und Tomaten. Aus welchen Gründen auch immer, das alles zusammen fand meine Verdauung nicht optimal. Und zu guter Letzt habe ich noch gelesen man solle am Abend vor dem Marathon viel trinken. Ich hab dann soviel getrunken, dass die Nacht aus nur sehr wenigen zusammenhängenden Stunden Schlaf bestand.
Natürlich konnte ich auch so nicht einschlafen, die Aufregung vor dem ersten Marathon meines Lebens war viel zu groß. Also habe ich bis nachts um zwölf noch Filme geschaut und bin erst dann an meinen, sich nur langsam einstellenden und oft unterbrochenen, Schlaf gegangen. Pünktlich um Fünf klingelte dann auch mein lieber Wecker.
Als ich auf den Bus wartete (der im Gegensatz zum Halbmarathon drei Wochen zuvor ohne die Opfer der nächtlichen Partys daher kam), sprach mich direkt eine Frau an, dass sie auch zum Marathon nach Berlin fährt, allerdings als Zuschauerin. Im Bus saß dann auch schon ein weiterer Teilnehmer, bis zum S-Bahnhof Teltow wurden es noch mehr. Am Bahnsteig hatte zu frühmorgendlicher Stunde fast jeder einen Bekleidungsbeutel des 39. Berlin Marathons dabei.
Angekommen am Brandenburger Tor war ich durch die schon so große Anzahl von Läufern und Zuschauern überrascht. Trotz der Menge (allein über 40.000 Läufer, dazu noch Handbiker, Rollstuhlfahrer, etc.) konnte ich meine Sachen relativ schnell abgeben und mich in den Startbereich begeben. Zum Glück hatte ich eine „Wegwerfjacke“ dabei, die mich bis zum Start warm gehalten hat, der Sommer ist tatsächlich vorbei, zumindest morgens vor neun, im Berliner Tiergarten.
Der Lauf
Pünktlich 9:00 Uhr fiel der Startschuss. Dann ein zweiter und um 9:20 noch einer. Bei Letzterem durfte auch ich endlich auf die Strecke. Als Neuling startet man nun mal in Block H, dem letzten aller Startblöcke, bis auf die vielen Läufer, an denen man erst einmal vorbei muss, ist das aber auch kein Problem, es wird schließlich die Nettozeit gemessen, also abzüglich der zwanzig Minuten Startverzögerung.
Nun lagen sie also vor mir, die 42,195 Kilometer des 39. Berlin Marathons. Am 30. September 2012, um 9:20 Uhr mündete nun das Training des Jahres ins sportliche Finale dieses Wettkampfs. Das mag jetzt schmalzig klingen, aber in dem Moment war ich doch ein wenig gerührt.
Die ersten Schritte führten vorbei an der Siegessäule, für die ich leider kaum ein Auge hatte, da es erst mal hieß freie Stellen zu finden, um voran zu kommen. Bei diesem Massenlauf hat man das bis zur Überquerung der Ziellinie, aber die ersten Kilometer nach dem Start sind (verständlicherweise) besonders extrem.
Weiter ging es die Straße des 17. Juni zum Ernst-Reuter-Platz und dann über Moabit zum Bundeskanzleramt. Auf dem Weg kam ich an einem Autohaus vorbei, bei dem ich früher öfter mal vorbei fuhr, als ich noch in der Bundesgeschäftsstelle gearbeitet habe, da kamen gleich zu Beginn des Laufes wieder schöne Erinnerungen hoch.
Nicht so schön war die Kälte. Nach den vielen Wochen Sommer war ich die gar nicht mehr gewohnt. Irgendwie war mir unwohl. Einerseits schwitzte ich schon, andererseits empfand ich dabei keine wirkliche Wärme. Nach den ersten Verpflegungspunkten und dem einmaligen Besuch im blauen WC-Häuschen ging es dann aber besser.
Weiter ging es durch Berlin, unter anderem an Reichstag und Fernsehturm vorbei, begleitet von den Klängen verschiedenster Bands. Im Gegensatz zu meinen anfänglichen Befürchtungen hat mich das nicht genervt, sondern positiv motiviert noch ein paar Schritte drauf zu legen. Die erste Hälfte des Laufes war gleichzeitig mein bisher zweitschnellster Halbmarathon. Es ging angenehm locker, die Motivation stieg.
An Kilometer 20 und 37 stand dankenswerter Weise Bankziggy und hat mir Wasserflaschen und, etwas später noch gesondert Erwähnung findende, Energie-gel-päckchen auf den Weg gegeben.
Durch Schöneberg und Steglitz genoss ich den Lauf, bis auf kurze Momente der Wut, wenn ich wieder irgendeinem rumrotzenden Id…, ähm Mitläufer, ausweichen musste, der weder Taschentuch noch nach links und rechts schauen kennt. Witzig war das Gedränge an den Wasser- und Verpflegungspunkten. Natürlich rennt man alles um, um direkt den ersten Wasserbecher zu holen, auch wenn die kommenden Tische fast völlig unbeansprucht sind. Aber das gehört vermutlich zu jedem Lauf dazu. Wasser und Verpflegung habe ich nirgends ausgelassen. Stets stehen dort froh gelaunte Menschen, die sich durch die Teils chaotischen Läufer nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Bei Kilometer 32 hatte ich, aus welchen Gründen auch immer, Wasser fest in meinem Laufplan vermerkt. Das gab es natürlich nicht. Es gab diese wunderbaren Kohlehydrat-gel-päckchen. Die helfen zwar einerseits sehr gut, den Energieverlust auszugleichen der bei dieser Strecke zwangsläufig aufkommt, aber mit ihrer Klebrigkeit und dem süß-salzigen Geschmack können sie einen schier in den Wahnsinn treiben, wenn man kein Wasser dazu bekommt. Naja, war mein Fehler, auch Kartenlesen kann man lernen 😉
Überhaupt lief es ab den frühen Dreißigern alles andere als gut. Langsam fing ich an die Strecke zu spüren. Nach Kilometer Fünfunddreißig musste ich richtig kämpfen. Motiviert hat mich die Zeit, die hinter mir lag, wieder aller Erwartungen hatte ich nach Kilometer dreißig realisiert, dass ein Lauf unter vier Stunden im Rahmen des Möglichen liegt. Doch trotzdem schlich sich immer wieder der Gedanke ein, das ursprüngliche Ziel war 4 Stunden 30, lass es locker angehen. Hüfte und Knie stimmten langsam fröhlich mit ein und das Zwerchfell meldete sich mit heftigem Seitenstechen um seinen Freunden argumentativ beizustehen.
Danke auch für die motivierenden Sprüche auf der Leinwand. Zum Glück habe ich sie mir vorher im Netz durch gelesen, die Wand habe ich überhaupt nicht wahrgenommen, das war eine äußerst ungünstige Stelle im Gesamtzusammenhang 😉
Als die Leipziger Straße erreicht war, der Potsdamer Platz hinter mir lag, waren die Schmerzen in Knien, Gelenken und sonst wo verschwunden, auch das Zwerchfell war wieder zur schmerzfreien Arbeit zurückgekehrt. Aber die Beine, die waren schwer wie Blei. Diesmal waren sie es, die die Gedanken an einen etwas gemächlicheren Lauf, der ja nun immer noch für eine gute 4:10er Zeit genügen würde hoffähig machten. Das hat mich stark an eine Situation während meiner Grundausbildung beim Bund erinnert. Damals war ich am Ende meiner Kräfte und bereit aufzugeben. Ein paar motivierende Worte unseres damaligen Brigadekommandeurs hatten mich wieder angetrieben. Diesmal habe ich es zum Glück selber geschafft mich wieder aufzuraffen. Die letzten zwei Kilometer biss ich die Zähne zusammen. Als das Brandenburger Tor in Sicht war, stieg die Stimmung und die letzten paar Meter bis zu Ziel waren nun auch kein Problem mehr.
Nach 3 Stunden, 56 Minuten und 32 Sekunden hatte ich den für mich bisher längsten Lauf geschafft.
Beigetragen haben dazu sicher auch die vielen Freude ausstrahlenden Helfer am Wegesrand, die Bands und die vielen, vielen Zuschauer. Es war eine super Stimmung in Berlin.
Zeiten:
Split | Tageszeit | Zeit | Diff | min/km | km/h |
5 km | 09:47:42 | 00:27:17 | 27:17 | 05:28 | 11,00 |
10 km | 10:16:14 | 00:55:49 | 28:32 | 05:43 | 10,52 |
15 km | 10:42:55 | 01:22:30 | 26:41 | 05:21 | 11,24 |
20 km | 11:10:02 | 01:49:37 | 27:07 | 05:26 | 11,26 |
Halb | 11:16:06 | 01:55:41 | 06:04 | 05:32 | 10,88 |
25 km | 11:37:53 | 02:17:28 | 21:47 | 05:35 | 10,75 |
30 km | 12:05:49 | 02:45:24 | 27:56 | 05:36 | 10,74 |
35 km | 12:34:35 | 03:14:10 | 28:46 | 05:46 | 10,43 |
40 km | 13:04:42 | 03:44:17 | 30:07 | 06:02 | 9,96 |
Finish | 13:16:57 | 03:56:32 | 12:15 | 05:35 | 10,75 |
Danke
Ein ganz großes DANKE an alle meine Freunde die mich auf diesem Weg begleitet haben, ob heute an der Strecke, bei den vielen Trainingsläufen, Wettkämpfen oder auch durch ein paar aufmunternde Worte! Ihr wisst, dass ich nie der beste Sportler in unserer Runde war und trotzdem habe ich es gepackt – ihr könnt das auch. Vielleicht schon nächstes Jahr am 29. September 2013?
So, jetzt lege ich mich erst einmal aufs Sofa, morgen geht’s mit dem Training weiter!