Wir leben schon in seltsamen Zeiten. Deutschland geht es so gut wie nie zuvor, finanziell gesichert, umgeben von Freunden, leben wir in einer Demokratie die bereits seit 66, bzw. 25 Jahren erprobt sein sollte. Und dennoch wird die Stimmung radikaler. Ich habe den Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit den Positionen anderer immer unbeliebter wird. Man liefert sich keine Rededuelle mehr, sondern verleumdet den Gegner, Aufrufe und Taten der Gewalt von links und rechts nehmen (gefühlt) zu.
Auf Demonstrationen der Pegida werden Galgen für Politiker getragen, in staatlich finanzierten Theatern werden Mordaufrufe gegen engagierte Lebensrechtler als künstlerische Freiheit verkauft. Der, der eine andere Meinung hat, ist immer weniger Mitbewerber beim Ringen um die Lösungen der aktuellen Probleme, sondern immer mehr Gegner, gar Feind. Da ist es kein Wunder, dass in solch einem Klima auch jene Aufwind bekommen, die von Gewalt nicht nur reden, sondern sie auch anwenden.
Wenn von links und rechts, wenn selbst in der so genannten politischen Mitte, nicht mehr die Auseinandersetzung mit Fakten und Meinungen interessiert, sondern die Intoleranz Einzug hält, wenn radikale Positionen von links und rechts bis in die Mitte der Gesellschaft salonfähig werden, sind wir auf keinem guten Weg.
Sind die Menschen heute nicht mehr fähig zu Kompromissen oder zu echter Toleranz? Toleranz meint sicher nicht, jedem die eigene Meinung aufzuzwingen, aber auch nicht, die eigenen Positionen der Beliebigkeit preis zu geben. Vielleicht liegt ja in letzterem der Grund des Übels? Sind sich viele ihrer eigenen Positionen nicht mehr sicher, dass sie statt auf dem Feld der Argumentation das Feld des Kampfes suchen?
Auch eine subjektiv als richtig geltende Einstellung verliert in der Demokratie ihren Wert, wenn sie mit Gewalt vorgetragen wird. Auch der tugendhafteste Ansatz ist nicht mehr tugendhaft, wenn er mit radikaler Inbrunst vorangetrieben anderen aufgezwungen wird. Schon Aristoteles schrieb vor bald zweieinhalb Jahrtausenden: „Die Tugend ist also ein Verhalten der Entscheidung, begründet in der Mitte im Bezug auf uns, einer Mitte, die durch Überlegung bestimmt wird und danach, wie sie der Verständige bestimmen würde. Die Mitte liegt aber zwischen zwei Schlechtigkeiten, dem Übermaß und dem Mangel.“ (Nikomachische Ethik II 6)
Wäre es nicht schön, wenn in all den aktuellen Auseinandersetzungen, von Asyl- und Flüchtlingskrise bis hin zur Familienpolitik und all den Feldern dazwischen, die Beteiligten versuchen würden weder im Übermaß des Eifers anderen (mit Gewalt oder Worten) ihre Meinung aufzuzwingen, noch in einer Form des Mangels diese zurückhalten. Stattdessen jeder sich selbst befähigt seine Meinung zu vertreten, aber auch dem Gegenüber Gehör schenkt? Man wird ja wohl noch träumen dürfen.
Demokratie ist nicht die Diktatur der Mehrheit. Demokratie verträgt keine Denkverbote. In der Demokratie kämpft man mit der Waffe des Wortes, nicht mit Gewalt. Findet endlich wieder zu einer Mitte in der Auseinandersetzung zurück, in der man unterschiedliche Meinungen kontrovers diskutiert, ohne dabei den anderen zu diffamieren oder zu bedrohen! Man ist kein Demokrat, weil man davon redet einer zu sein, sondern nur dann, wenn man auch so handelt.